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Von Dominik Wolfinger

Redaktor

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11. Februar 2016 um 14:00

Wir sahen aus wie verdammte Zivilbullen, getarnt als dilettantische Journalisten, wie sie nur tsüri.ch hervorbringen kann

Museum Of Coexistence



«You have to live in the scene to understand the scene.» Nur eines der blumigen Zitate, die ich am Festival «Museum Of Coexistence» auf dem Kochareal notieren durfte. Das Leben in der Szene, das Leben als Besetzer; das Verständnis der Szene, das Verständnis der Kunst, welche die Szene hervorbringt. Wir, mein Kollege und ich, gehören nicht zu der Szene. Er ein vorlauter, blonder Jurist mit Justin Bieber-Frisur, ich ein verkopfter, versteifter ZHdK-ler. Beide nicht nüchtern. Beide keine Dissidenten auf dem sakralen Boden des Kochareals, aber selten zu Gast.

Als wir am Freitag um 19 Uhr auf dem Festival-Gelände eintrafen, liefen noch die Vorbereitungen – Kabel wurden eingesteckt, die Bar mit Getränken angereichert. Wie zwei Ochsen am Berg standen wir da mit Zigarette und Rotwein im Plastikbecher und rätselten, wo denn nun «die Kunst» sei. Versprach doch der Titel «Museum Of Coexistence» einen musealen Raum. Einen White Cube erwarteten wir zwar nicht – und der Vorhof links vom Blauen Haus hatte alleine durch die Graffitis, die Installationen, die Lichtstimmung, etc. eine malerische Grundatmosphäre anheim –, doch wir verlangten mehr. Wir begannen das Gelände abzugrasen, um uns ohne Vorwissen über das Geschehen und ohne jegliche Erwartungen alle erdenklichen Informationen zu beschaffen.

«Are you a fucking cop? You make notes and photos and look like a fucking undercover cop.» Stimmt. Wir sahen aus wie verdammte Zivilbullen, getarnt als dilettantische Journalisten, wie sie nur tsüri.ch hervorbringen kann.

Ich verspürte etwas Unmut. Zwar war ich des Öfteren an Besetzer-Partys, bekam aber ab und an die nicht tolerierte Toleranz oder tolerierte Intoleranz gegenüber Auswärtigen zu spüren – meist nur in Form von misstrauischen Blicken. Vielleicht waren wir hier die «persona non grata», vielleicht waren wir auch einfach nur ein «a fucking pain in the fucking ass» mit unseren Fragen und unserem Voyeurismus.

Wenn man als Gast da ist, sollte man sich wie ein Gast benehmen. Wenn man noch etwas darüber schreiben will, sollte man Transparenz zeigen. «We are writing an article about the festival for a left-wing blog. About art and stuff.» Mein Kollege mit grossem Maul konnte alle beruhigen und ein Interview stand uns sicher. Bezeichnend für mich, da ich mit Rotwein in der Hand weniger journalistische Arbeit tätigte als er.

Wie dem auch sei. Ich freute mich auf das Interview, empfand aber dennoch etwas Beklommenheit, da ich mich für den Artikel noch ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen musste. Ich zückte endlich mein Diktiergerät. «You don’t really have a brain that can remember anything. So it’s ok.» Ich durfte also Aufzeichnen, was wirklich eine probates Mittel zur Gedächtnisstütze war, musste aber versprechen auf die Identität der Person im Text nicht einzugehen.

Wir zogen eine Runde in den Ausstellungsraum. «It’s not curated.» Bis zur letzten freien Stelle bedeckten stilistisch verschiedene Werke die Wände. Ein Bild zog uns in den Bann. Eine Art pinker Engel mit Horn fickt sich selbst in den Arsch. Es erinnerte an die Detailtreue von Crumb und das Collagenhafte von Robert Williams – zumindest meint meine Erinnerung diese Verbindung gemacht zu haben. «Provocative», meinte mein Juristen-Freund.

«It’s provocating what? It’s graphic and it has something to say. If you don’t accept this you’re part of the problem. The artist isn’t disgusting. It only provocates you, because you know something is wrong.» Sehr richtig. Ob es sich bei dem Werk nun aber um Provokation, um der Provokation willen handelt, oder hinter der Provokation tatsächlich gezielte Kritik steckt, hätten wir den Künstler / die Künstlerin fragen müssen.

Wir gönnten uns noch ein Glas Wein. «It’s not conceptual and super organised. It’s just allowing possibilities to happen. We don’t take it too seriously.» Am Anfang war die Idee, etwas gegen die Winterdepression zu unternehmen. Ein open-call an alle, die sich künstlerisch betätigen und sonst nicht ausstellen können, garantierte die Diversität der Werke. Fotografien, Skizzen, Malereien, Konzerte und Performances, alles sollte das Festival bieten – bewusst ohne Vermittlung. «Sometimes you don’t need to explain things. Sometimes you don’t need a big statement about what it means.» Und manchmal liegt die Vermittlung in der Nicht-Vermittlung.

Um etwas Ruhe zu finden, bewegten wir uns langsam weg vom Vorhof. Inzwischen waren doch einige Leute eingetroffen. «Art is everything. Look at this space. Everybody build this. This is also creative. The art of living.» Wir bestaunten die Bauten und nahmen einen hübsch eingerichteten Gartentisch Platz.




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«It’s everybody’s party.» Das Kochareal als besetztes Gebiet funktioniere als mikrokosmische Insel, umgeben vom Rest der Stadt. Daher sei das Gelände der Nährboden von der alternativen Kunst, die sich klar von der Hochkultur abwendet. Genau, um dies zu erfahren, wurden die Türen geöffnet. «So coexistence?» Es sei wie im Bus. Kein Mensch rede mit dem anderen und dennoch sind sie alle nebeneinander. Für ein Wochenende sollte sich das ändern, mit Ausstellungen, mit Performances, mit Tanz, mit Exzess und Party.

Also dann: «Long live punk.» Wir beendeten unser Gespräch, strauchelten in Richtung Blaues Haus und widmeten uns dem Rest der angebrochenen Nacht, mit einem grandiosen Konzert mit «The Sex Organs».

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