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Von jonas staehelin

Redaktor

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3. Februar 2017 um 09:47

«DeinLabitzke» macht das Unmögliche möglich (vorsicht Ironie)

«Finde deinen Freiraum! Du bist mutig. Du steckst voller Neugier. Deine Phantasie kennt keine Grenzen. Weil Du an das Unglaubliche glaubst und das Unmögliche möglich machst. Feier Deine Träume und leb Dein Leben, wie es Dir gefällt. DeinLabitzke.»

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Hierbei handelt es nicht um einen zu pathetisch klingenden Aufruf zur kollektiven Aneignung städtischen Freiraums. Obwohl man meinen könnte, ehemalige 68er sitzen nun in der Marketingabteilung des gegenwärtig noch im Entstehen begriffenen Wohnprojekts «DeinLabitzke».

Die Überbauung des ehemals besetzten Areals – wovon in der Präsentation des Projekts natürlich nirgends die Rede ist – wird von der riesigen Immobilienfirma Mobimo AG betrieben. Ihr gesamtes Immobilienportfolio umfasst einen Wert von stolzen 2,5 Milliarden Franken. Zu ihren letzten Projekten gehört unter anderem der schicke Mobimo-Tower mit teuren Eigentumswohnungen. Auf dem ehemaligen Gelände der Labitzke Farben AG entsteht nun ein Wohnkomplex aus 227 Mietwohnungen sowie zahlreichen Ateliers und Gewerbeflächen. Die Mietwohnungen liegen, je nach Grösse, im mittleren und oberen Preissegment. Ein 37m2 Studio kostet rund 1'100 Franken, eine 3.5 Zimmerwohnung mit 90m2 Wohnfläche ist für 2'480 Franken monatlich zu haben.

Hier war das Labitzke noch ein besetztes Areal.

Die Internetseite, der auch das eingangs zitierte «Manifest» entnommen ist, vermittelt einen hippen, urbanen Lifestyle mit Industriecharme: «DeinLabitzke – das bedeutet, den puren urbanen Lifestyle zu leben.» Vermarktet wird also nicht bloss die Wohnung, sondern das dazugehörige urbane Erlebnis. «Leb dein Leben am Puls der Zeit. Wer hier wohnt, entscheidet sich bewusst für ein Quartier im Aufbruch, welches sich nach und nach zum trendigsten Platz von Zürich entwickelt.» Angesagte Clubs, coole Restaurants und namhafte Unternehmen, alles befindet sich in nächster Nähe. Natürlich behält die Architektur «in seiner Aneinanderreihung von Einzelgebäuden und der Verzahnung mit den Freiräumen die Massstäblichkeit und atmosphärischen Qualitäten des ehemaligen Industrieareals», wie der Archtitekt, Mike Guyer, festhält. Sicherlich ist die Fassade im Erdgeschoss auch mit teurem «Graffitischutz» überzogen – zu viel «Industriecharme» soll ja auch nicht sein.

«Seien wir Realisten, verlangen wir nach dem Unmöglichen!» das war in Anlehnung an Che Guevara der grosse Slogan der 68er Unruhen. Er richtete sich gegen den Konformismus des Massenkonsums. Ein Ausdruck der Empörung gegen das Diktum der Väter (hier im Freudschen Sinne verstanden), dass die Dinge einfach so sind, wie sie sind und demnach pragmatische Forderungen – ein, wie man zu sagen pflegte und immer noch pflegt, «nüchterner Realismus» – vor überhöhte Utopie Wünsche zu stellen seien.

Das obige Beispiel zeigt leider, dass die im Geiste der 68er Unruhen entstandene Kritik am Massenkonsum längst Bestandteil der gegenwärtigen Marketingideologie geworden ist. Die Kritik an der Homogenisierung des Lebens und am Mangel an Spontaneität und Authentizität hat dabei die Aura des Widerständigen eingebüsst.

Der gegenwärtige flexibilisierte Kapitalismus ist nicht mehr darauf angewiesen, brave Konformisten zu züchten. Im Gegenteil, ständig werden wir dazu aufgerufen, nicht so zu sein, wie die anderen; ständig werden wir dazu aufgefordert, den Mut zu haben, für unsere eigene Individualität einzustehen. Die individuelle Einzigartigkeit wird dabei mit der Vermarktung eines Produktes gleichgesetzt. Das Leben ist zum Wettbewerb – zur Ich AG – geworden und ein jede*r kämpft für seine eigenen Marktvorteile.

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Die ehemals politische Parole, der Kampf um Freiraum, erscheint, völlig entpolitisiert, auf der Ebene des individuellen Lifestyles wieder. «Freiraum», «Mut», «das Unmögliche fordern», das sind hier keine real zu erreichenden Ziele mehr, nicht mehr das Ergebnis eines kollektiven Aneignungsprozesses im Kampf für eine gerechtere Gesellschaft. Im Gegenteil, hier wird lediglich das Phantasma nach individueller Einzigartigkeit bedient. Die politische Forderung wird zum persönlichen Konsumentscheid pervertiert: Ja, du kannst dein Leben so leben wie du möchtest, ja, du kannst dich kreativ ausleben – in deinen eigenen vier Wänden, versteht sich, und natürlich gemäss der Höhe deines Einkommens.

(Titelbild: Screenshot/deinlabitzke.ch)

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